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Patente: Neue Grundsätze in einstweiligen Verfügungsverfahren

Am gestrigen Donnerstag, den 28. April 2022, hat der EuGH seine Entscheidung in der Vorlagesache C-44/21 verkündet und festgestellt, dass die Rechtsprechung der deutschen Oberlandesgerichte in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Patentsachen, wonach der Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen der Verletzung  eines Patents grundsätzlich zu verweigern sei, wenn das Patent noch kein seinen Bestand bestätigendes erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden habe, nicht mit Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG (Durchsetzungsrichtlinie) vereinbar sei.

Im Beitrag vom 25. Januar 2021 haben wir darüber berichtet, dass das LG München sich mit einer entsprechenden Vorlagefrage1 an den EuGH gewandt hat. In dem zugrundeliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren war das LG München zu dem Ergebnis gekommen, dass das Patent der Antragstellerin rechtsbeständig und verletzt sei, sah sich jedoch aufgrund der o.g., bindenden Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München daran gehindert, eine einstweilige Verfügung zu erlassen.

In seinem Urteil betont der EuGH, dass

Er führt mit Blick auf die zu der Vorlage führenden deutschen Rechtsprechung aus:

„Mit einer solchen Rechtsprechung wird ein Erfordernis aufgestellt, das Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/48 jede praktische Wirksamkeit nimmt, da es dem nationalen Richter verwehrt ist, im Einklang mit dieser Bestimmung eine einstweilige Maßnahme anzuordnen, um die Verletzung des in Rede stehenden, von ihm als rechtsbeständig und verletzt erachteten Patents unverzüglich zu beenden.“ [Tz. 34]

„Ein innerstaatliches Verfahren, mit dem jede Verletzung eines bestehenden Rechts des geistigen Eigentums unverzüglich beendet werden soll, wäre wirkungslos und würde somit das Ziel eines hohen Schutzniveaus für geistiges Eigentum verfehlen, wenn seine Anwendung einem Erfordernis unterläge, wie es durch die oben in Rn. 33 angeführte nationale Rechtsprechung aufgestellt wird.“ [Tz. 40]

Zudem stellten sowohl die Richtlinie 2004/48 als auch die daraus verpflichteten Mitgliedstaaten ausreichende Sicherheiten, um zu verhindern, dass einstweilige Maßnahmen und Verfahren nicht missbräuchlich verwendet würden.

Danach sind die deutschen erstinstanzlichen Gerichte nunmehr gehalten, erforderlichenfalls die mit Art. 9 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie unvereinbare bisherige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unangewendet zu lassen. Das EuGH-Urteil enthält diesbezüglich eine unmissverständliche Anweisung (Tz. 53) und zudem die klare Aufforderung, eine gefestigte, aber gegen Unionsrecht verstoßende Rechtsprechung abzuändern (Tz. 52).

Dieses mit großer Spannung erwartete Urteil dürfte erhebliche Auswirkungen auf die künftige Praxis in einstweiligen Verfügungsverfahren haben. Zwar wurden von den Gerichten auch bislang schon umfangreiche Ausnahmen von dem o.g. Grundsatz entwickelt und umgesetzt. Das bloße Argument, ein Verfügungspatent hätte noch kein erstinstanzliches Rechtsbestandsverfahren überstanden, dürfte nun allerdings in keinem Fall mehr zur Ablehnung eines Verfügungsantrags führen. Vielmehr wird es mehr denn je Sache des angeblichen Verletzers sein, den zweifelhaften Rechtsbestand des Patents glaubhaft zu machen und werden die Gerichte das jeweilige Patent auf dieser Grundlage einer gründlichen summarischen Prüfung unterziehen. Es wird für alle Beteiligten eine Herausforderung sein, dies in der für einstweilige Verfügungsverfahren in Deutschland gewohnten Schnelligkeit zu bewältigen.

(In derselben Entscheidung äußert sich der EuGH zudem noch einmal zu den Erfordernissen der Durchführung des beschleunigten Verfahrens nach Art. 105 der Verfahrensordnung (vgl. auch Rechtssache C-590/20 v. 3. März 2022 m.w.N.). Das LG München hatte beantragt, die Vorlagesache einer beschleunigten Behandlung zu unterwerfen, da die Art des Ausgangsverfahrens eine rasche Entscheidung verlange. Der EuGH bestätigte seine bisherige Rechtsprechung, wonach das bloße – wenn auch legitime – Interesse der Antragstellerin an einer möglichst schnellen Klärung ihrer Rechte im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht geeignet sei, das Vorliegen der für Art. 105 erforderlichen außergewöhnlichen Umstände zu belegen. Ein Vorabentscheidungsersuchen im Rahmen eines innerstaatlichen einstweiligen Verfügungsverfahrens vermag für sich genommen noch nicht zu belegen, dass die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert. Der Antrag wurde abgelehnt.)

1 Zum Vorlagebeschluss vom 19. Januar 2021 und Diskussionsstand:

GRUR 2021, 466 – Rechtsbestand im einstweiligen Verfügungsverfahren (mit Anmerkung RiOLG Kühnen)

GRUR 2021, 557 – Die Bedeutung der Patenterteilung für die Bestandsprognose im einstweiligen Rechtsschutz (Erwiderung RiLG Pichlmaier)

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Autoren

Heike Röder-Hitschke

Counsel

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz

EPG-Vertreterin

LL.M. „International Studies in Intellectual Property Law“