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EPO, G 1/18: Habe nun, ach, verspätet Beschwerde eingelegt – bekomme ich zumindest die Beschwerdegebühr zurück?

Die Große Beschwerdekammer, die nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) die höchste gerichtliche Instanz der Europäischen Patentorganisation darstellt, hat in ihrer jüngst veröffentlichten Stellungnahme über die Unterscheidung zwischen einer als nicht eingelegt geltenden und einer unzulässigen Beschwerde und über die (finanziellen) Konsequenzen dieser Differenzierung zu befinden.

Laut EPÜ wird eine Beschwerdegebühr immer dann erstattet, wenn eine Beschwerde als nicht eingelegt gilt. Dies greift jedoch nicht, wenn ein Rechtsbehelf lediglich für unzulässig befunden wird. Die Unterscheidung zwischen „unzulässig“ und „als nicht eingelegt geltend“ kann also den entscheidenden Unterschied ausmachen, wenn es darum geht, ob ein erfolgloser Beschwerdeführer zumindest seine Beschwerdegebühr zurückerhält.

Die Frage, die G1/18 zugrunde lag, war, ob eine Beschwerde als nicht eingelegt oder als unzulässig zu behandeln ist, wenn die Frist für die Zahlung der Beschwerdegebühr und die Einreichung der Beschwerdeschrift nicht eingehalten wurde. Beide Handlungen müssen innerhalb von zwei Monaten ab dem Datum der angefochtenen Entscheidung durchgeführt werden. In der Vergangenheit hatten einige Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) entschieden, dass eine Beschwerde, bei der eine dieser Handlungen verspätet vorgenommen wurde, unzulässig war und dass keine Rechtfertigung für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr bestand. In den meisten Entscheidungen der Beschwerdekammern wurde jedoch entschieden, dass eine solche verspätete Beschwerde nicht wirksam eingelegt wurde. Die Beschwerdegebühr wurde daher – da keine Beschwerde vorlag – ohne Rechtsgrundlage entrichtet und musste daher erstattet werden. Der Großen Beschwerdekammer wurde dies nun vom Präsidenten des EPA zur Stellungnahme vorgelegt, und ihre Antwort war wie folgt (basierend auf der vorläufigen Übersetzung aus der Presseerklärung des EPA):

1. In folgenden Fällen gilt die Beschwerde als nicht eingelegt: 

a) wenn die Beschwerdeschrift innerhalb der in Artikel 108 Satz 1 EPÜ vorgesehenen Frist von zwei Monaten eingereicht UND die Beschwerdegebühr nach Ablauf der Frist von zwei Monaten entrichtet wurde; 

b) wenn die Beschwerdeschrift nach Ablauf der in Artikel 108 Satz 1 EPÜ vorgesehenen Frist von zwei Monaten eingereicht UND die Beschwerdegebühr nach Ablauf der Frist von zwei Monaten entrichtet wurde; 

c) wenn die Beschwerdegebühr innerhalb der in Artikel 108 Satz 1 EPÜ für die Einlegung der Beschwerde vorgesehenen Frist von zwei Monaten entrichtet UND die Beschwerdeschrift nach Ablauf der Frist von zwei Monaten eingereicht wurde.

2. Für die Antworten 1 a) bis 1 c) wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr von Amts wegen angeordnet. 

3. Wenn die Beschwerdegebühr innerhalb oder nach Ablauf der in Artikel 108 Satz 1 EPÜ für die Einlegung der Beschwerde vorgesehenen Frist von zwei Monaten entrichtet UND keine Beschwerdeschrift eingereicht wurde, wird die Beschwerdegebühr zurückgezahlt. [Anmerkung: Art. 108, zweiter Satz, regelt bereits den umgekehrten Fall: wenn keine Beschwerdegebühr gezahlt wird, gilt die Beschwerde als nicht eingelegt.]

Kurzgefasst: Wenn eine oder beide der Handlungen nach Art. 108 EPÜ, d.h. die Beschwerdeschrift (nicht zu verwechseln mit der Beschwerdebegründung!) und / oder die Zahlung der Beschwerdegebühr verspätet war oder gar nicht vorgenommen wurde, hat das zur Folge, dass die Beschwerde als nicht eingereicht gilt und nicht lediglich als unzulässig zurückgewiesen wird. Wurde die Beschwerdegebühr bezahlt, muss sie in solchen Fällen erstattet werden.

Die Große Beschwerdekammer fügte ferner ein obiter dictum hinzu, das bestätigte, dass dies nicht nur für Beschwerden gilt, sondern auch für die verspätete Zahlung der Einspruchsgebühr oder für eine verspätete Einreichung der Einspruchsbegründung (Artikel 99 (1) EPÜ).

Link zur Entscheidung (auf Französisch; eine Übersetzung sollte jedoch bald verfügbar sein):
https://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/recent/g180001fx1.html

Die Beiträge im Maiwald-Blog stellen lediglich einen Überblick zu aktuellen rechtlichen Themen, Gesetzgebungsvorhaben sowie Rechtsprechung dar und dienen der allgemeinen Information und ersetzen keinesfalls eine konkrete Beratung im Einzelfall. Wenn Sie Fragen zu den hier angesprochenen oder anderen Themen und Rechtsgebieten haben, steht Ihnen Ihr persönlicher Ansprechpartner bei Maiwald oder der jeweils im Beitrag genannte Verfasser gerne jederzeit zur Verfügung.

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Autoren

Dr. Stefanie Parchmann

Partnerin

Patentanwältin

European Patent Attorney

Diplom-Chemikerin