Zu den Beschwerdesachen T 0123/22 und T 1191/22 hat die Beschwerdekammer des EPA zwei Entscheidungen erlassen, die die Auslegung der Regel 80 EPÜ betreffen. Grundsätzlich stand dabei die Frage im Raum, ob ein unabhängiger Anspruch zur Aufrechterhaltung des Patents in eingeschränkter Form durch mehrere unabhängige Ansprüche ersetzt werden darf, die jeweils unterschiedliche Ausführungsformen definieren.
Als Voraussetzung gilt es festzuhalten, dass Änderungen an den Ansprüchen gemäß Regel 80 EPÜ durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sein müssen, wobei dieser Einspruchsgrund allerdings nicht von der Einsprechenden geltend gemacht worden sein braucht. Bei geänderten Ansprüchen gilt es deswegen zu klären, ob auf Seiten der Patentinhaberin ein ernsthafter Versuch und ein ehrliches Interesse vorliegen, den Einspruchsgrund durch die Änderung(en) auszuräumen.
Regel 80 EPÜ gibt dabei jedoch nicht vor, wie solche Änderungen tatsächlich auszusehen oder nicht auszusehen haben. Gemäß Regel 80 EPÜ ist es somit nicht ausgeschlossen, dass ein unabhängiger Anspruch durch mehrere unabhängige Ansprüche ersetzt und hierdurch eingeschränkt wird. Es ist ebenso wenig ausgeschlossen, dass sich die mehreren unabhängigen Ansprüche auf Merkmale aus der Beschreibung beziehen, die in den erteilten Ansprüchen bisher nicht gezeigt waren.
Im Vordergrund steht nach Ansicht der Beschwerdekammer des EPA dabei das der Patentinhaberin zustehende legitime Interesse, ihr Patent mit einem größtmöglichen Schutzumfang aufrechtzuerhalten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein „aus einem mach mehrere“ bei einem unabhängigen Anspruch gemäß Regel 80 EPÜ gemäß dem Wortlaut der Regel 80 EPÜ nicht ausgeschlossen ist.